vegan Essstörung
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Vegan aus der Essstörung – geht das?

Come as you are!

Die traurige Wahrheit: Essstörungen sind in unserer Gesellschaft (vor allem in Deutschland) ein Thema, dass meiner Meinung nach noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält! Auch für mich ist es alles andere als einfach darüber zu schreiben und meine persönlichen Erfahrungen hier preis zu geben. Doch zum Anlass der “National Eating Disorder Week”, wollte ich einmal über meinen Schatten springen und einen kleinen Beitrag zu diesem sehr sensiblen Thema schreiben.

Das diesjährige Motto lautet “Come as you are“. Meiner Meinung nach ein wundervoller Anlass all die unterschiedlichen Betroffenen zu würdigen und dabei jeden einzelnen so zu empfangen wie sie sind! Dies ist nur eine, von vielen Geschichten. Dies ist nur eine von vielen unterschiedlichen Meinungen. Es ist nur mein kleiner Beitrag zu meiner persönlichen Erfahrung, sowie meinem Interesse an einer veganen Ernährung.

 

Vegan aus der Essstörung – möglich und sinnvoll?

 

Häufig werde ich mit der Frage konfrontiert, ob eine rein pflanzliche Ernährung auf dem Weg aus der Essstörung sinnvoll oder überhaupt erst möglich ist. Tatsache ist, dass viele Menschen, die an einer Essstörung leiden oder in der Vergangenheit gelitten haben, sich für eine vegane Ernährung entscheiden. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einige davon sind positiv und andere eher negativ. Dennoch ist es meiner Meinung nach möglich, sich aus einer Essstörung zu kämpfen, sowohl physisch als auch psychisch, während eine vollwertige, pflanzliche Diät eingehalten wird.

Ich möchte hier bereits auf folgendes hinweisen: Veganismus verursacht (per se) keine Essstörungen. Eine schlechte psychische Gesundheit führt zu einer Essstörung, nicht zu einer ethischen Haltung gegenüber tierischen Produkten. Wie ich bereits in einem früheren Beitrag mitteilte, ernähren sich viele Veganer genauso ungesund – oder sogar ungesünder – als Omnivore.

Veganismus ist keine Diät. Veganismus ist eine ethische Entscheidung, um anderen lebenden Tierarten den geringstmöglichen Schaden zuzufügen, und zwar durch das, was wir mit unseren täglichen Handlungen bewirken. Nicht nur die Entscheidung, nicht von Tieren gewonnene Nahrungsmittel wie Fleisch, Milchprodukte, Fisch, Eier und Honig zu sich zu nehmen, sondern auch die Entscheidung, keine Körperpflegeprodukte, Kleidung oder andere Materialien mit tierischen Bestandteilen zu kaufen oder an Tieren getestet zu haben gehören dazu. Diese Lebenseinstellung allein hat nichts mit einer Essstörung zu tun, sondern mit deinen persönlichen Werten und deiner Moral als Individuum. Es ist somit deine freie Wahl, auf eine Weise zu leben, die diesen Werten entspricht.


 

Vegan als Ausrede der Krankheit

 

Wenn man sich einmal im Netzt nach den Suchbegriffen “vegan” und “Essstörung” umsieht, so fällt einem schnell auf, dass es zahlreiche Meinungen zu diesem Thema gibt. So gibt es einige Artikel, welche den Veganismus generell als Essstörung deklarieren. Auf der anderen Seite gibt es in den sozialen Medien viele Accounts, die durch die vegane Ernährung ihre Lust am Kochen und Essen erst wieder erlangen konnten. Auch ich bin mir völlig bewusst darüber, dass Veganismus Menschen mit einer Essstörung förmlich anspricht. Es gibt Ihnen eine Anzahl an diätetischen Einschränkungen und Regeln, Kennzeichnungen und „Entschuldigungen“, um bestimmte Lebensmittel abzulehnen.

Hingegen bilden pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse, welche arm an Kalorien sind, oft die “sicheren Lebensmittel” für Menschen mit Essstörungen. Wenn Sie eine große Menge dieser energiearmen Lebensmittel essen, kann dies dazu führen, dass Betroffene mit einer scheinbar “normalen” Menge an Nahrungsmitteln davonkommen, während sie untergewichtig und sehr starr in ihren Essgewohnheiten und Gedanken über das Essen verbleiben. Wenn dann jemand fragt, warum ein bestimmtes Lebensmittel nicht konsumiert wird, so lautet die Antwort häufig “Weil ich Veganer bin”. Jedoch hat die Realität nichts mit Veganismus zu tun, sondern einzig und allein mit der Aufrechterhaltung der Essstörung und dem Beibehalten der Essensregeln und -einschränkungen.


 

Schmeiß die Etiketten über Bord

 

Die meisten Experten, die sich mit Essstörungen beschäftigen, empfehlen nicht sich auf dem Weg aus der Essstörung vegan zu ernähren. Ich kann sehr gut verstehen, warum: In der heutigen Welt ist Veganismus leider sehr häufig mit Rohkost zu verwechseln, Saftreinigungen und Entgiftungen durchzuführen oder “gesund” zu sein (orthorexia-obsessiv) und wird von vielen Celebrities zum Abnehmen genutzt. Doch argumentieren Bernard und Levin (2009), dass nicht die vegane Ernährung per se, sondern vielmehr die Einschränkung der Lebensmittelauswahl und die Ansätze einer Essstörung zuerst vorhanden seien, bevor sich Betroffene dazu entschlossen, sich als “Vegetarier” bzw. “Veganer” zu deklarieren. So konnte z.B. Eltern und Freunden gegenüber das veränderte Essverhalten begründet und mögliche Probleme mit bestimmten Lebensmitteln vertuscht werden. Daher ist es wichtig sich Studien, die seinen Zusammenhang zwischen Essstörungen und Veganismus zeigen 1. immer genau anzuschauen und 2. von Korrelationen nicht auf Kausalität zu schließen! Ganz besonders, wenn es um voreilige Schlüsse geht.

Eine sehr eingeschränkte Art von Veganismus kann in der Tat gestört sein. Beim wahren Veganismus geht es jedoch nicht darum, „wer die sauberste Diät der Welt hat und wer am meisten Gewicht verlieren kann“. Die Gründe gehen weit über die eigenen persönlichen Vorteile hinaus.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sehr viel Kraft braucht, um ehrlich mit sich selbst zu sein und sich zu fragen, ob ich Veganer bin und von einem Ort des Mitgefühls und der Liebe komme? Oder ob meine Entscheidung aus einem Ursprung der Beschränkung und der Essensregeln entstanden ist.

Die Sache ist folgende: Eine vegane Ernährung muss in keinem Fall einschränkend sein (und sollte sie auch nicht!). Vegan zu sein ist großartig, wie ich bereits eingangs erwähnte, ist es keine „Diät“, sondern eine Lebenseinstellung. Aber hier müssen die Regeln enden. Während der Genesung sollten keine vollwertigen, pflanzlichen Lebensmittel als “Verbot” deklariert werden. Weder Labels wie “Vollwertkost auf pflanzlicher Basis“, “High Carb Low Fat Vegan“, “Carb Solution“, “Rohveganer“, “Raw till 4” noch “glutenfreier, zuckerfreier Veganer” (natürlich mit Ausnahme der Ausnahme) für diagnostizierte Nahrungsmittelallergien und Zöliakie!), sollten verfolgt werden. Diese Etiketten sind tatsächlich Diäten. Und sie sind kontraproduktiv für die Genesung von einer Essstörungen – ohne Wenn und Aber.


 

Regel Nummer 1: Keine Verbote

 

In der Tat kann die Deckung des erhöhten Energiebedarfs für die Erholung des Körpers und die Wiederherstellung des Gewichts bei einer veganen Ernährung etwas schwieriger sein, da vollwertige pflanzliche Lebensmittel meist voluminöser und daher sättigender sind. Dennoch spricht nichts dagegen rein pflanzlich – und somit sehr gesund – an Gewicht zuzunehmen. So können und sollten sogar energiereichere Lebensmittel bewusst ausgewählt und in den täglichen Speiseplan integriert werden. Dazu gehören z.B. gesunde Fette wie Nüsse und/oder Nussbutter, Avocados und kaltgepresstes Oliven-/ Leinsamen oder Sonnenblumenöl sowie zusätzliche Snacks, Smoothies, Säfte und Nussmilch zwischen den Hauptmahlzeiten.

Man denke nur an cremige Avocado-Pasta, herzhafte Wraps und knusprige Müsliriegel sowie vieles mehr. 😉  Die wichtigste Regel ist: KEINE VERBOTE.  Man kann sich nicht (ich wiederhole, NICHT) von einer Essstörung befreien, die auf irgendeine Art auf einer bestimmten, limitierender Diät beruht. Daher ist es auch so unglaublich wichtig stets ehrlich zu  sich selbst zu sein. Deine Gesundheit, sowohl geistig als auch körperlich, ist während dieser Zeit die Priorität. Wenn eine vegane einen jedoch daran hindert, sich wirklich zu erholen und Freiheit und Frieden mit sämtlichen Lebensmitteln (ALLEN Lebensmitteln) zu erreichen, dann ist die beste Wahl sich in diesem Moment zuerst auf die physische Genesung zu konzentrieren. Sobald man sich vollständig erholt und gesund ist, können man wieder darüber nachdenken, ob Veganismus etwas ist, das zu einem passt und das man gerne verfolgen möchte – oder nicht.

Dabei gilt für alle – egal, ob Veganer oder nicht – um wirklich aus dem Teufelskreis auszubrechen, ist es unglaublich wichtig, einen qualifizierten Ernährungsberater sowie ein Team aus professionellen Spezialisten zu konsultieren. Nur gemeinsam können Ängste und Regeln rund um das Essen aufgebrochen und Essen sowie vor allem dessen Genuss auf eine Weise (wieder) erlernt werden, sodass Körper, Geist und Seele wirklich unterstützt und langfristig glücklich gemacht werden. 


 

Was bedeutet das Alles nun für dich?

 

Veganismus für gestörtes Essverhalten verantwortlich zu machen ist so, als würde man den Wagen vor das Pferd stellen. Allerdings ist es die Essstörung, die an Veganismus festhält, um den Leidenden auf ungesunde Art und Weise festzuhalten – und nicht umgekehrt.

Wenn du dich vegan ernährst oder versuchst, während der Genesung einen veganen Lebensstil aufrechtzuerhalten, solltest du also sorgfältig prüfen, ob dies wirklich die richtige Wahl für dich ganz persönlich ist. Für manche Menschen kann es völlig in Ordnung sein, während der Genesung weiterhin vegan zu leben. Andere stellen möglicherweise fest, dass dies ihre Genesung in Wirklichkeit behindert und ihnen eher Regeln gibt, nach denen sie leben können. Demzufolge gibt keine eindeutig richtige oder falsche Antwort auf die Frage, ob eine vegane Ernährung in jedem Fall zu empfehlen ist. Dies ist etwas, das man für sich ganz individuell überdenken muss. Mein Tipp: Entferne dich für einen Augenblick von deiner Krankheit und untersuche die tiefliegenden Motive für deine Entscheidung für ein veganes Leben. Ist es, Gewicht zu verlieren oder nur „reine Nahrung“ zu sich zu nehmen oder Ihre Einschränkung unter einer üblichen Ernährung verstecken zu können? Oder weil von tiefstem Herzen aus ethischen, ökologischen, ökonomischen oder gesundheitlichen Gründen vegan sein möchtest? 

Nur Du, Du ganz alleine solltest die Hauptrolle in deinem Heilungsprozess einnehmen! Denn deine Gesundheit und deine Entscheidung Pro-Recovery und weg von deinen Zwängen liegt einzig und alleine in deinen Händen. Hole dir Hilfe an deine Seite und umgebe dich mit Menschen, die dich in all deinen Entscheidungen unterstützen. Denn du hast es, wie jeder andere auch, verdient ein glückliches und erfülltes, gesundes Leben zu führen!

Du bist wahrhaftig ein Geschenk für diese Welt. Vergiss das bitte nie!


 

Was ich dir an dieser Stelle sonst noch mitgeben wollte

 

Die Umstellung auf eine rein vegane Ernährung hat mir persönlich mehr geholfen als ich mir je hätte vorstellen können. War es für mich dabei eine eingeschränkte Diät geschmückt mit Verboten und Limitationen? Ganz im Gegenteil! Bevor ich vegan wurde, fehlte es mir an vielen Nährstoffen und ich vermied darüber hinaus viele Fette, weil ich mich an eine ziemlich begrenzte, fett- und kohlenhydratarme Diät hielt. Als ich jedoch begann mich wirklich mit den einzelnen Nährstoffen auseinander zu setzten, mich durch zahlreiche Kochbücher wälzte und selbst an den Herd wagte, entdeckte ich meine  tief verwurzelte, wundervolle Leidenschaft am Kochen. Ich habe wieder Spaß daran meinem Körper etwas Gutes zu tun, ihn zu nähren und nicht zu bestrafen. Außerdem gibt es für mich kaum etwas Schöneres als abends nach Hause zu kommen, mir eine stimmungsvolle Playliste anzuschmeißen und den Kochlöffel in die Hand zu nehmen. Ich bin zu einem grundlegend glücklicheren, positiveren Menschen geworden. Dies habe ich unter anderem – wenn auch nicht ausschließlich – einer veganen Ernährung, bei der ich für mich selbst und meine Mitmenschen/Tiere sorge, zu verdanken.

Mit einer Essstörung macht man sich zu einer sehr egozentrischen Person. Man ist so auf sich fokussiert, dass man die Welt um sich herum irgendwann kaum noch wahrnimmt. Als ich jedoch begann mich mit dem Veganismus und all den gesundheitlichen Vorteilen mehr und mehr zu beschäftigen, habe ich angefangen das breitere Bild zu betrachten. Ich habe begonnen mir Gedanken über die Tiere zu machen, deren Schicksal von kleinen Entscheidungen des täglichen Lebens betroffen ist, und davon, wie die Veränderung einer einzigen Sache eine große Wirkung haben kann. Zudem habe ich mich ausführlich mit den Mythen über eine vegane Ernährung beschäftigt und angefangen selbst zu recherchieren. Heute habe ich das Gefühl, dass ich einen Unterschied in der Welt machen kann, was mein Selbstwertgefühl darüber hinaus unglaublich verbessert hat. Es ist, als hätte ich herausgefunden, wer ich in Wirklichkeit bin und wofür ich stehe, indem ich tagtäglich eine Identität für mich selbst schmiede, die einen großen Einfluss auf meine psychische Gesundheit hat. In den vergangenen Jahren habe ich gelernt mich wieder zu respektieren und selbst zu lieben – für den Menschen, der ich bin.


 

Was sich sonst noch verändert hat

 

Ob du es glaubst oder nicht, aber seitdem ich mich vollwertig, rein pflanzlich ernähre – und dabei auf nichts verzichte – ist folgendes passiert:

Es erscheint mir selbst immer noch wie ein Wunder, aber seitdem ich mich vollwertig vegan ernähre (seit nun über 5 Jahren!), war ich tatsächlich nicht einen Tag krank! Weder die jährliche Grippewelle, von der so viele Kollegen erwischt wurden, noch die harmloseste – obschon echt nervige – Erkältung, haben mich in den vergangenen Jahren heimgesucht. Selbst Kopfschmerzen hatte ich nur sehr selten und diese kamen wohl eher von kleinen Wetterumschwüngen oder Hitzeschwankungen. Davon dass meine überwiegend sehr gesunde, vegane Ernährung einen großen Beitrag dazu geleistet hat, bin ich tief und fest überzeugt! Aus diesem und zahlreichen weiteren Gründen werde ich wohl daran in Zukunft auch nichts ändern. 🙂

 

Ich hoffe dir hat mein kleiner Beitrag zu dem Thema gefallen. Lass mich gerne wissen, ob du noch mehr über den Veganismus bzw. gestörtes Essverhalten wissen möchtest. Du kannst auch gerne deine eigenen Erfahrungen teilen. 🙂

Ganz nach dem Motto: “Come as you are!” 

Ganz egal wo du dich gerade befindest!

 

 

Alles, alles Liebe.

Deine Nila

 

 

 

PS: Falls du erfahren möchtest, was mir neben der veganen Ernährung noch geholfen hat gesund zu werden dann klicke hier!

 

Disclaimer:

Dies ist kein Versuch, Veganismus (oder pflanzenorientiertes Essen) als „Heilmittel“ für gestörtes Essen zu präsentieren, und es ist auch keine Behauptung, dass pflanzenorientierte Diäten für jeden Menschen, der an einer Essstörung gelitten hat, angemessen oder gesund sind. Es ist eher ein Versuch, die Möglichkeit, dass Veganismus für manche Menschen, die an einem gestörten Essverhalten leiden, als Heilungsweg zu nutzen, nicht auszuschalten oder außer Acht zu lassen.

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9 Comments

  1. Toller Beitrag!! Der Zusammenhang hat mich immer interessiert, ich habe vor einigen Jahren auch mit einer Essstörung gekämpft und fühle erst jetzt, seit ich mich vegan ernähre, dass ich eine gute, ausgeglichene Beziehung zu mir und meinem Körper habe.

    Liebe Grüße
    Marta

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